Selbstmedikation bei wilden Schimpansen: Pflanzen mit medizinischen Eigenschaften



Bio-News vom 21.06.2024

Eine aktuelle Studie, geleitet von der Hochschule Neubrandenburg und der Universität Oxford, hat herausgefunden, dass wilde Schimpansen gezielt Pflanzen mit heilenden Eigenschaften konsumieren, um Krankheiten zu behandeln. Das Team um Dr. Fabien Schultz und Dr. Elodie Freymann beobachtete 51 Schimpansen im Budongo-Wald und untersuchte 17 Pflanzensorten auf entzündungshemmende und antibakterielle Wirkungen. Die Studienergebnisse zeigen, dass 88% der getesteten Pflanzen antibakteriell und 33% entzündungshemmend wirken. Diese Erkenntnisse könnten zur Entwicklung neuer Medikamente beitragen.

Viele Pflanzen verfügen über Wirkstoffe, die medizinische Effekte auf Menschen und andere Tiere ausüben können. Wildschimpansen verzehren eine Vielzahl unterschiedlicher Pflanzen, einschließlich solcher, die nährstoffarm, jedoch potenziell symptomlindernd oder -behandelnd sind. Es war allerdings bisher eine Herausforderung zu bestimmen, ob Schimpansen gezielt nach Pflanzen mit heilenden Eigenschaften suchen, um ihre spezifischen Leiden zu behandeln, oder ob sie zufällig auf medizinisch wirksame Pflanzen stoßen und diese konsumieren.


Ozzie ist ein wilder Schimpanse. Er gehört zur Sonso-Gruppe im Budongo Forst (West-Uganda).

Publikation:


Elodie Freymann, Susana Carvalho, Leif A. Garbe et al.
Pharmacological and behavioral investigation of putative self-medicative plants in Budongo chimpanzee diets

PLOS ONE (2024)

DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0305219



Zur Untersuchung kombinierten Dr. Fabien Schultz und Dr. Elodie Freymann Verhaltensbeobachtungen wild lebender Schimpansen (Pan troglodytes) mit pharmakologischen Untersuchungen der Pflanzen, die sie unter ungewöhnlichen Umständen verzehren. Das Verhalten und die Gesundheit von 51 Schimpansen aus zwei verschiedenen Gruppen im tropischen Budongo-Regenwald in Uganda wurden dabei genau beobachtet.


Kato lebt ebenfalls im Budongo Forst in Uganda.

Daraufhin entnahmen sie 17 Proben von 13 verschiedenen Baum- und Kräuterarten aus dem Regenwald, die Schimpansen möglicherweise zur Selbstmedikation nutzen. Diese Pflanzen wurden zuvor von kranken oder verletzten Schimpansen verwendet, gehören jedoch nicht zu ihrer regulären Nahrung. Die Proben wurden an der Hochschule Neubrandenburg unter der Leitung von Dr. Fabien Schultz und Prof. Leif-Alexander Garbe auf entzündungshemmende und antibiotische Eigenschaften geprüft, einschließlich ihrer Wirkung gegen klinische Isolate von antibiotikaresistenten Bakterienstämmen. Insgesamt stellte man 53 Extrakte her, die in vitro auf pharmakologische Effekte hin analysiert wurden.

Ein Forscherteam entdeckte, dass 88 % der getesteten Pflanzenextrakte das Wachstum von Bakterien hemmten und 33 % entzündungshemmend wirkten. Insbesondere das tote Holz des Alstonia boonei, eines Baumes aus der Familie der Hundsgiftgewächse, zeigte starke antibakterielle und entzündungshemmende Effekte. Dies legt nahe, dass Schimpansen es möglicherweise zur Wundbehandlung verwenden. Bemerkenswert ist, dass Alstonia boonei auch in einigen ländlichen ostafrikanischen Gemeinden als Heilmittel für verschiedene Leiden, einschließlich bakterieller Infektionen, Magen-Darm-Erkrankungen, Schlangenbisse und Asthma, genutzt wird.


Nochmal Ozzie, sitzend auf Totholz

Die Rinde und das Harz des ostafrikanischen Mahagonibaums (Khaya anthotheca) sowie die Blätter des Farns (Christella parasitica) wiesen ausgeprägte entzündungshemmende Wirkungen auf. Forscher beobachteten einen männlichen Schimpansen, der mit einer verletzten Hand gezielt die Blätter des Farns suchte und verzehrte, was vermutlich zur Schmerzlinderung und Abschwellung beitrug. Zudem wurde festgestellt, dass ein Schimpanse mit einer parasitären Infektion die Rinde des Katzendornbaums (Scutia myrtina) aß, ein Verhalten, das in dieser Gruppe zuvor nicht dokumentiert war. Laboranalysen zeigten, dass diese Rinde entzündungshemmende und antimikrobielle Eigenschaften besitzt.

Die Resultate liefern überzeugende Belege dafür, dass Schimpansen gezielt bestimmte Pflanzen wegen ihrer heilenden Eigenschaften aufsuchen. Diese Studie stellt die umfassendste Untersuchung dar, die verhaltensbiologische und pharmakologische Nachweise für den gesundheitlichen Nutzen kombiniert, den der Verzehr von Rinde und Totholz für wilde Schimpansen hat.


Zalu vom Budongo Forst lässt sich die Früchte des Sandpapierbaums (auch Rauer Feigenbaum, Ficus exasperata) schmecken.

Dr. Elodie Freymann von der School of Anthropology & Museum Ethnography der Universität Oxford erklärte: „Die Untersuchung der Selbstmedikation bei wilden Schimpansen erfordert detektivisches Vorgehen – es gilt, multidisziplinäre Beweise zu sammeln, um einen Fall zu konstruieren. Nach Monaten der Feldarbeit und dem Sammeln von Verhaltensindizien, die uns zu spezifischen Pflanzenarten leiteten, war die Analyse der pharmakologischen Ergebnisse und die Entdeckung, dass viele dieser Pflanzen eine hohe Bioaktivität zeigten, äußerst spannend.“

Das Forscherteam weist darauf hin, dass antibiotikaresistente Bakterienstämme und chronische Entzündungskrankheiten bereits eine erhebliche Gefahr für die weltweite Gesundheit darstellen. Sie betonen, dass Heilpflanzen aus dem Budongo-Regenwald die Entdeckung von Wirkstoffen und die Entwicklung neuer, wertvoller Medikamente fördern könnten.

Der Leiter der Forschungsgruppe, Dr. Fabien Schultz, äußerte: „Es ist durchaus vorstellbar, dass mithilfe moderner Technologien in der Medikamentenforschung zukünftig aufbauend auf unseren Untersuchungen im Frühstadium neuartige Wirkstoff-Leitstrukturen identifiziert werden können. Somit stellen sich die Fragen: Was wäre, wenn wir Menschen von den Schimpansen lernen könnten? Können eines Tages Menschenleben gerettet werden, indem wir dem Beispiel unserer engsten tierischen Verwandten folgen?“ Dr. Freymann ergänzte: „Unsere Studie verdeutlicht, welches medizinische Potenzial in der Beobachtung von Tieren in der Wildnis steckt und betont die dringende Notwendigkeit, diese natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen zu bewahren.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material Hochschule Neubrandenburg via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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